Dieter Kühn

Zeichnungen
30.05.2008 bis 31.07.2008  | Finanzamt Landau
 
Einführung von Clemens Jöckle

Die Arbeiten von Dieter Kühn sind Resultate der Überwindung der Leere auf dem Papier durch den malerischen Akt des Künstlers. Kühns Arbeit gestaltet sich als fortwährender Schaffensprozess, dessen einzelne Stadien dann auch ganz konsequent in mehreren Jahreszahlen auf den entsprechenden Blättern festgehalten worden sind. Jeder Zahl besagt, dass immer wieder die Arbeit aus dem Fundus hervorgeholt und überarbeitet wurde, neue Schichten hinzugefügt und alte Stadien entweder als zu dicht empfunden erneut überdeckt worden sind oder auch überdeckte Partien durch Aufkratzen wieder sichtbar gemacht worden sind.

So schreitet das Werk voran, indem sich aus dem Vorhandenen neue Initiativen entwickeln. Dieser langwierige Prozess der Bildfindung erweist sich einerseits als Fortschreiten vom Transluziden zum Opaken, führt andererseits auch zur Freilegung des Opaken durch transluzide Elemente.

Zentrale Bedeutung kommt dabei der Linie zu, die zum dynamischen Faktur dieser Bildwelten wird und nicht mehr Gegenstände zusammenfasst, sondern bald aus Farbschichten sich freikämpft, unter der Farbe sich überdecken lässt und so in raumtief erscheinende Schichten vordringt. Dabei wird die Linie keineswegs zu einem Fühlfaden, vielmehr haftet ihr Spielerisches an, wenn sie sich plötzlich ihrer deiktischen Aufgabe im doppelten Sinne besinnt, nämlich hinweisend das zu beschreibende Gegenständliche durch ihre Formung oder Bündelung zu demonstrieren oder von einer bestimmten Vorstellung eines Gegenstandes ausgehend diesen in ganz anderen Zusammenhängen zu erfassen und damit neu begrifflich zu bestimmen.

Was konkret damit gemeint ist, wird aus der Tableau-artigen Zusammenstellungen von Bildgegenständen unter thematischen Gesichtspunkten deutlich. Da schleichen sich Fischformen, an anderer Stelle Augenformen ein, die in ihrer Vieldeutigkeit als Bildzeichen Bereiche vom religiös definierten ιχθυς–Motiv bis hin zu anthropomorpher Sinnlichkeit reichen. Wir können das Vokabular dieser bestimmten Gegenstände in drei Gruppen unterteilen, nämlich in ein rhythmisches Gefüge, das sich aus Blütenformen und kreisenden Elementen zusammensetzt und so einen Code für Landschaft vermittelt, der sowohl die gewachsene Form im Sinne der Natur als auch der gestalteten Form des Zivilisatorischen umfasst. Durch die Reduktion kommt Kühn zu einer paysage d’abstrait, um das glückliche Aperçu Michel Ragons hier anzuwenden. Die Dichte der Informationen verknüpft dabei auch unterschiedliche Seinsformen, die von anorganischen Strukturen über florale und zoomorphe Element erreichen. Das Geistige wird eingebracht in den geflügelten Gestaltzeichen, die er und andere mit Engeln assoziieren und wiederum mit der Fischform in der Arbeit thematische Zusammenhänge ermöglichen lassen.

Wir können die Gegenstände benennten, aber nicht mit der Verbindlichkeit des Gattungsbegriffs, sondern mit dem Hinweis auf formale Annäherung. So ergibt beispielsweise ein Tableau einen Zusammenhang mit dem semantischen Sammelbegriff Wasser, wenn eine Fischreuse und ein Fisch sowie blaue Farbe zusammenkommen. Aber diese Zeichen sind Chiffren und wurden aus dem gestischen Malakt als Resultat zu jenem Erlebnis gebracht, das die individuellen deiktischen Formen umreist, die man entsprechend der gegenständlichen Assoziation eben so benennen möchte. Doch bleibt diese Festlegung durchweg offen. Dabei ergeben sich nur die künstlerischen Zielsetzungen der Formfindung und der Formfassung, um aus der Formlosigkeit herauszutreten und mit dynamsichem Duktus eben zu der so bezeichneten Form zu finden. Beabsichtigt oder gar geplant ist diese écriture automatique nicht.

Die zweite Werkgruppe sind Stelen, die als antike Spolien zeichnerisch auf Vergangenheit zielen, zugleich im Zeichen archaische Kultfiguren, aber auch das arkadische Lebensgefühl assoziieren. Die Fundstücke in der Arbeit "Ausgrabungsfeld" ermöglichen das in der architektonischen Umschreibung antiker Architekturelemente Innewohnende ihres von der Natur kommenden Ausgangspunktes. Schild und Triglyphen spiegeln en passant den Übergang der anorganischen Form zu ihrem organischen Ausgangspunkt.

Die dritte Werkgruppe umfasst Stilleben und deutet die hier verwendeten Zeichen aus, wenn im Zusammenhang von Atelierstilleben beispielsweise die im Engelskontext verwendete Reuse nicht mehr transzendent begriffen wird und diesen Bereich versieht, sondern im veränderten Zusammenhang als Fanggerät der Imaginationen herhalten muss, Fisch und Skelett werden in solchem Zusammenhang eher geschlechtlich verstanden. Dabei ist diese Vielfalt der Deutung in den Tableaus von Dieter Kühn durch die vielfältige Symbolwelt der Kunstgeschichte vorgeprägt. Im 17. Jahrhundert kann der Fisch mit zehn unterschiedlichen Bedeutungsebenen in Verbindung gebracht werden. Dabei nehmen die Bedeutungen nicht nur eine religiöse Symbolik, sondern ebenso eine soziale Komponente an, wenn dieser Fisch als Zeichen der Armut wegen der Armenspeise oder der üblen Nachrede wegen des Gründelns und Aufwerfen von Schlamm, aber auch der Gier und der Gesetzlosigkeit dargestellt wird, wenn etwa große Fische die kleinen fressen.

Vom Werden und Vergehen kann man dann solche Tableaus mit ihren Bildzeichen zusammenfassen. Kühns Bilder verlangen letztlich eine semantische Deutung in ihrer Zeichenhaftigkeit. Kühns Bilder enthalten die Elemente einer Bedeutungskonstitution von Ausdruckseinheiten. Dort finden sich die Elemente des figurativen Zeichens, die dann zu Ausdruckseinheiten zusammengefasst sind. Kühn wandelt in seinem prozesshaften Schaffen immer zwischen den Polen der Einfachheit und der Kontrastivität, indem er visuell die einzelnen Elemente oder Bildzeichen thematisch kombiniert und damit in ihren Aussagen jeweils konfrontiert. Kühn versteht seine Bildtitel als Hypothese für die Lektüre eines Bildes, denn jeder Betrachter, der den Inhalt analysieren will, macht das Bild in der flächigen Ausdehnung zu seiner nach Umberto Eco intuitiv angelegten Lektüre. Der Benennungsprozess kann aber durch die Gewohnheit der bereits publizierten Gegenständlichkeit eine vermeintliche Objektivität erhalten, die meist im Rätselgepräge des Kontextes wieder infrage gestellt wird. Letztlich bleibt als interpretative Leistung die Hervorbringung des Kunstwerkes als Selbstdarstellung und damit gleichzeitig als Versuch der Befreiung vom Zeichenhaften, das in der Begrifflichkeit festgelegt scheint und nun zum Aufbruch seiner Bestimmung dient. Das Zeichen hat allein nach dem Willen des Künstlers die Bedeutung oder die Bedeutung nicht, die ihm seine Gegenständlichkeit und seine Begriffsbestimmung nahe legen. Es geht letztlich um l'art pour l'art.