Vom Verschwinden und Bewahren - Strukturen des Privaten
Ein Blick in einen Raum, auf einen gewellten Brokatvorhang sowie eine gemusterte Tapete, teilweise von Licht durchschienen. Dieser Ausschnitt eines Interieurs in der Malerei "Bei Isabelle" (2014) von Anne Janoschka regt die Imagination des Betrachters an. Denn Janoschka verbindet unterschiedliche ornamentale Strukturen von Vorhang und Tapete als genuinem Ausdruck des gestalteten Wohnraumes. Durch die Licht- und Blickführung werden Fragen nach Sichtbarkeit und Privatheit in einem auf einen kleinen Ausschnitt fokussierten Innenraum aufgeworfen. Die ornamentalen Muster auf textilen Trägern erfahren hierbei eine Bewegung im Raum, die ihre ursprünglich symmetrische Struktur aufbricht und auf neue Weise zueinander fügt. Die Muster unterliegen einer Veränderung, spielen mit Kategorien des Zeigens und Verbergens und bilden neue Einheiten, die aus der gleichförmigen Wiederholung eines Ornaments ausbrechen.
In den Malereien von Anne Janoschka stellt das Verhältnis von Figur und Grund eine entscheidende Bildkonstituente dar. Malerisch erkundet sie den Bildraum, indem sie Vorder-, Mittel- und Hintergrund nicht in klassischer Weise zueinander ins Verhältnis setzt, sondern den Raum auf eigene Weise neu strukturiert und übliche Sehgewohnheiten wie auch klassische Bildgestaltungsweisen in Frage stellt. Während Vorder- und Hintergrund in Gemälden normalerweise Raumunterscheidungen klar zuweisen, verschränkt Anne Janoschka die Ebenen teilweise miteinander und kreiert so einen Zwischenraum, in dem sich der Betrachter neu verorten muss.
So verbindet sie oftmals ornamentale Strukturen und Interieurszenen in einer nahezu hyperrealistischen Malweise mit einem strukturellen Untergrund, der an organische Formgebungen, wie beispielsweise Hautfaltungen, erinnern mag, wodurch sich eine eigenwillig haptische Struktur ergibt. Dieses Wechselspiel zwischen Oberfläche und Untergrund kreiert Anne Janoschka vermittels Monotypien mit Folie oder textilen Verfahren, sodass sie auf einer vorstrukturierten und nicht wie üblich einer gleichmäßig weiß grundierten Leinwand malt. Die unterlegte malerische Struktur bringt dabei ein Zufallsprinzip in die genau konstruierten Bildfindungen und scheint an verschiedenen Stellen des Bildes durch.
So erzeugen die hyperrealistische Malweise einerseits und der irrationale räumliche Bildaufbau mit den offenen Strukturen des Untergrundes andererseits eine faszinierende Spannung in einer malerischen Geste der Offenheit und Unabgeschlossenheit, die den Betrachter nahezu in das Bild hineinzieht. Janoschka behandelt den Untergrund als aktive Struktur, die durch ihre Bilder stets hindurchscheint und so die Oberflächenwirkung des Bildes prägt. Anne Janoschka zeigt die Stofflichkeit des Bildträgers in Dialog mit der Bildlichkeit des Stoffes auf. Sie setzt stark auf Tiefenwirkung und Raumillusionen, die sie in eigenen, teils surreal anmutenden Bildräumlichkeiten zugleich konstruiert und dekonstruiert.
Die Motivik des bisherigen Œuvres von Anne Janoschka zeigt eine Orientierung an klassischen Genres, wie dem Interieur oder den Selbstportrait, die sie jedoch sehr zeitgenössisch in einer Collagetechnik aus privaten, teils im Internet gefundenen Bildern zusammensetzt und neu konstruiert. Verschiedene Realitäten und Wahrnehmungsebenen liegen hier offensichtlich übereinander und lassen die Konstruktion der Hyperrealität umso deutlicher aufscheinen, als Durchblicke auf die verschiedenen Ebenen gewährt werden. Der intuitiv gestaltete Untergrund trägt das genau durchdachte, konstruierte Bildthema, das oftmals auf fotografischen Fundstücken, beispielsweise aus osteuropäischen Ländern, beruht. Zufall und Konstruktion bilden eine Spannung, die in ihrer Offenheit und Uneindeutigkeit zur näheren Betrachtung einlädt. In ihrer Malerei "Küche (Bukarest)" (2010) werden beispielsweise Wände nicht tragend durchgestaltet, sondern wirken kulissenhaft schwebend, der Untergrund scheint auf dem malerischen Fußboden durch, was eine gewisse Bodenlosigkeit in der Wahrnehmung evoziert und eine Herdklappe manifestiert sich in ihrer oberen Ecke nicht, sondern lässt die dahinterliegende Wand durchscheinen. Die Dinge wirken ebenso anwesend wie abwesend, wie Traum- oder Nachbilder des Vergangenen. Die abgebildeten Situationen erscheinen zugleich alltäglich wie auch aus der Zeit gefallen und rufen Erinnerungen oder Assoziationen hervor. Anne Janoschka erkundet Strukturen des Privaten, die auf unterschiedliche Weise von Prozessen des Verschwindens und Versuchen des Bewahrens betroffen sind.
Erinnerungen verändern sich kontextabhängig je nach dem aktuellen Lebensstandpunkt und der Perspektive, die auf die Vergangenheit eingenommen wird. Insofern könnten auch die gekrümmten, veränderten Muster des Brokatstoffes wie auch der gemusterten Wachstuchtischdecke in ihren Bildfindungen Metaphern für Erinnerungsprozesse darstellen, die in Bewegung bleiben und je nach Blickwinkel neue Strukturen bilden und je andere Muster erkennen lassen ohne sich in ihrer Stofflichkeit zu wandeln. In ihrem Selbstportrait "Vertrauen" (2015), in dem sie im Kleinkindalter mit geschlossenen Augen vertrauensvoll an ihre Mutter gelehnt dargestellt ist, gehen die für ihr bisheriges Werk entscheidenden Themen der Erinnerung und des Ornaments eine ausdrucksstarke Verbindung ein.
Schließlich expandiert die Bildräumlichkeit, die ein zentrales Thema in dem Œuvre von Anne Janoschka darstellt, in ihrer Installation "Refugium" (2015) in der Rotunde der Villa Streccius in den Realraum hinein. Objekte aus ihrer Malerei "Backstage" (2011), wie ein kleiner Hocker mit einem gelben gefalteten Tuch, ein von Innen mit einem Vorhang verhängter kleiner Käfig und ein gepunkteter Teppichläufer, befinden sich nun in dem ovalen Prunkraum und bilden einen ganz neuen installativen Raumeindruck. Hier wird die Metapher, in Anne Janoschkas Bildräumen zu wandeln, tatsächlich räumliche Realität.
Dabei spielt das textile Element als Sinnbild des Privaten eine besondere Rolle und geht oftmals gemeinsam mit dem Umraum einen Dialog in Form von disparaten Bildelementen ein. Die Ambivalenz zwischen Realitätsabbildung und surrealer Illusion birgt stets neue Dynamiken in den Malereien Janoschkas, die Abgründe eröffnen und Fragen aufwerfen, ohne eindeutige Antworten zu geben. Daher sollte man die Bildräume Anne Janoschkas mit Muße betreten, um eigene Perspektiven zu eröffnen.
Julia Katharina Thiemann