"Über die Landschaft"
Franz Martin über seine Arbeiten
Die moderne Geografie ist als die Wissenschaft der Landschaften definiert worden, das heißt, die geografische Landschaft ist konkret, dreidimensional, für die Sinne fasslich und besteht aus zwei Elementen: dem natürlichen und dem menschlichen.
Der deutsche Geograf Ratzel bezeichnete diesen Aspekt als "Ökumene", worunter er das vom Menschen bewohnte, bearbeitete und begangene Areal verstand. Da, wo der Mensch die natürliche Landschaft zu seinem Wohnraum gemacht hat, ist die ursprüngliche Form durch zivilisatorische und kulturelle Umwandlungsprozesse verändert worden.
Die natürliche Landschaft ist Ausdehnung, sie entfaltet sich im Raum; die Kulturlandschaft ist Aktivität, sie entwickelt sich in der Zeit. Es ist daher ein großer Irrtum, wenn man als Maler versucht, aus den Kulturlandschaften eine natürliche Landschaft zu machen. Viele glauben, in den Landschaften Mitteleuropas ewige und mysteriöse Strukturen zu sehen, welche den historischen Prozess auf einem bestimmten Entwicklungsstadium aufhalten würden. Geht man von ästhetisch-religiösen Gesichtspunkten aus, läuft man sehr bald Gefahr, die menschlichen und sozialen Dimensionen der Landschaft auszuschließen.
Der Mensch blickt, wenn er eine Landschaft betrachtet, in sein eigenes Innere, denn er sieht in der Landschaft die Wandlung in seiner Einstellung zur Welt und zu Gott: Er sieht die materielle, rationale Struktur seines eigenen Bewusstseins.
Das Problem für die moderne Landschaftsmalerei drängt sich durch diese veränderte Geisteshaltung auf, eine Haltung, die in jeder Darstellung einer Landschaft spürbar sein muss. Den Maler interessiert die funktionelle Beschaffenheit einer Landschaft, ihre Struktur und Farbgrenzen: nicht das Endresultat der Naturerscheinung, sondern die innere Notwendigkeit einer geistigen Haltung.